In vielen Dörfern und Bauerschaften im Oldenburger Münsterland ist es ein seit vielen Generationen bekannter, inzwischen aber oft eingeschlafener Brauch: das „Tunscheren“-Bringen am Silvesterabend oder auch: „Wäp-Wäp”.
lb Oldenburger Münsterland. Es gibt noch Fachkundige, die diese Holzlockengebilde noch herstellen können. So wie Anni Wollenhaupt, die diese Kunstfertigkeit schon als kleines Mädchen erlernte.
Spät am Silvesterabend machte man sich mit der „Tunschere” auf den Weg. Ein aus Holzzweigen mit angerissenen Holzlocken gebasteltes Objekt, in der Größe irgendwo zwischen Schuhkarton und Puppenstube. Auf leisen Sohlen galt es, sich möglichst unbemerkt ans Haus heranzuschleichen. Dann mit laut gerufenem „Wäp! Wäp!” das mitgebrachte Holzmachwerk vor die Tür stellen und so schnell wie möglich weglaufen. Aufgabe: Von den Bewohnern des Hauses nicht fangen lassen. Gelang die Flucht, kam es allerdings auch nicht zur gemütlichen Bewirtung mit Neujahrskuchen, Tee und manchem Likör beim Beschenkten. Was in nicht seltenen Fällen Tempo und Kreativität beim Versteckspiel der Gabenbringer durchaus im Rahmen hielt. Und diese bei ausbleibender Reaktion der „Zielpersonen” auch schon mal stürmisch den Klingelknopf drücken ließ…
Das Rückspiel stand am 5. Januar, einen Tag vor dem Dreikönigsfest, an. Dann musste die Tunschere, ebenfalls möglichst unbemerkt, versehen mit Glücksbringern, Süßigkeiten, kleinen Likörfläschchen und einen 5-strahligen Stern zurückgebracht werden, erzählt Anni Wollenhaupt aus Cloppenburg. Die 64-jährige gebürtige Calhornerin wuchs als Älteste von acht Kindern in der Landwirtschaft auf. Ihr Vater beherrschte das Herstellen dieser Tunscheren und brachte es auch Tochter Anni bei. Sie lernte als Kind sehr früh, diese Holzlocken an Haselnussruten zu schaben. Ihre kleinen Kunstwerke schmückten dann über das Jahr das Wohnzimmer.
Über die Jahrzehnte hat sie später unzählige Tunscheren gebastelt, die bis nach Hannover, Düsseldorf oder nach Hessen auf die Reise gingen. „Damals in den ABC-Staaten” – gemeint sind Addrup, Bevern, und Calhorn – „hatten wir riesigen Spaß dabei”, erinnert sich Anni Wollenhaupt. Ob Regen, Wind oder tiefer Schnee – nichts hielt die Kinder und Jugendlichen davon ab, zum Jahreswechsel Nachbarn, Freunde oder auch das Mädchen, auf das man ein Auge geworfen hatte, mit diesem Glücksbringer zu überraschen.
Die Geschichte dieses Brauches reicht weit zurück und lässt sich bis ins Detail nicht mehr sicher klären. Eine mögliche Herkunft des Begriffes könnte aus dem 11. Jahrhundert stammen, als außerhalb der Hofgrenze – am „Tuun” (Zaun) Familien lebten, die sich mit dem aufwändig verzierten Glücksbringer zu Neujahr beim Gutsbesitzer für das Ackerrecht auf seinem Land bedankten, also für die Erlaubnis, den Boden mit der Pflugschar zu bearbeiten und Getreide anzubauen. Die „Tuunschare” könnten die Vorläufer des „Wäp Wäp”-Brauches sein, der sich in den folgenden Jahrhunderten regional sehr unterschiedlich entwickelt hat und in der Mitte des 20. Jahrhunderts im Oldenburger Münsterland weit verbreitet war.
Wenn auch mit örtlich sehr verschiedener Ausprägung. Neben der Tunschere wurde mancherorts auch die „Wäperaut” verschenkt. Das war meist ein Tannenzweig, geschmückt mit Äpfeln, Apfelsinen und buntem Schleifenband, wie die Gehlenbergerin Helene Moormann erklärt. Im Südkreis wurden Äpfel auf eine entrindete Weidenrute gesteckt, die zu einem Reifen gebogen wurde, der dann auf einen grünen Zweig von Tanne, Fichte oder Wacholder gebunden wurde.
Rund um Friesoythe und Bösel gab es den „Wäp Wäp” in Form von getrockneten rundgebogenen Weiden, die mit einem scharfen Messer so geschickt in Handarbeit bearbeitet wurden, dass „Holzkrüllen” dabei entstanden. Die Idee war aber überall die gleiche: Ein Glücksbringer-Geschenk für Menschen, die einem wichtig waren. Und ein netter Anlass zu geselligem Beisammensein. Und diese Idee taucht inzwischen in manchen Dörfern auch wieder auf. Also, aufgepasst, wenn Sie am Silversterabend den „Wäp Wäp-Ruf” hören…