Oldenburger Münsterland. Immer häufiger kratzen, beißen und treten Jungen und Mädchen in Kindertagesstätten. In der Fachsprache: Sie zeigen „herausforderndes Verhalten“. Das hat die Autorin und Supervisorin Anja Cantzler bei einer Fachtagung der Caritas für rund 60 Kita-Leiterinnen in der Katholischen Akademie Stapelfeld betont.
Herausforderndes Verhalten sei vereinfacht gesagt ein „Beschwerdemanagement“ des Kindes, das in dem Moment deutlich mache, „dass hier gerade etwas passiert, das für mich überhaupt nicht passt.“
Als Ursache nannte die Referentin beispielsweise den Fachkräftemangel. „In dem Moment, wo meine Kollegin fehlt, ich selbst unter Stress stehe, und es wuselig wird, reagieren die Kinder entsprechend.“ Die Fachkraft könne darauf jedoch schlechter eingehen.
Nicht zu unterschätzen seien auch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. „Wir haben jetzt eine Generation von Kindern in den Kitas, die anfänglich wenig soziale Kontakte in Gruppen hatten.“ Erzieherinnen würden heute Verhaltensweisen bei Drei- bis Vierjährigen beobachten, die sie sonst bei Jüngeren gesehen hätten. „Die Kinder lernen also gerade nach.“
Cantzlers wichtigster Tipp, wenn einer Erzieherin – so eines ihrer Beispiele – von einem dreieinhalbjährigen Jungen mit einer Sandschaufel ins Gesicht geschlagen wird und das Kind anschließend noch grinst: „Erst nachforschen und dann handeln.“ Die Pädagogin weiter: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.“
Klug sei, für solche Situationen einen inneren „Erste-Hilfe-Koffer“ zur Hand zu haben. Etwa „von 23 über 22 auf 21 runterzuzählen“. Oder das „Ja-Mantra“ anzuwenden. Das bedeute, dem Kind möglichst viele Fragen zu stellen, die es in dem Krisen-Moment mit „Ja“ beantworten könne. Dadurch käme es von seinem Stresslevel herunter und werde überhaupt erst wieder ansprechbar. Wichtig sei zu wissen, dass jedes Verhalten seinen Grund habe. Ebenso zentral: Jede noch so schwer nachvollziehbare Handlung „tut das Kind für sich und nicht gegen andere“, betonte Cantzler.
Ursachen für respektloses Verhalten könne beispielsweise sein, dass es dem Heranwachsenden zu laut oder zu eng sei, führte die Pädagogin aus. Ebenso Situationen, die unüberschaubar wirken. Die häufigsten Auslöser für Kratzen und Co. seien Raum-, Personen- oder Aufgabenwechsel, sagte Cantzler. Entsprechend sanft sollten solche Übergänge gestaltet werden. Eine weitere häufige Phase für Auffälligkeiten sei die sogenannte „Wackelzahn-Zeit“. „Nicht jedes Kind freut sich auf die Schule.“ Die Jungen und Mädchen würden in der Folge häufig nachts wieder ins Bett ihrer Eltern kriechen. Eine starke negative Wirkung könne überdies Schlafmangel hervorrufen.
Grundsätzlich sei es klug, bei Konflikten unter Kindern nicht zu früh einzugreifen, weil diese ihre Lernfelder bräuchten. Und: „Selbst der Leuchtturm zu bleiben und nicht zusätzlich zum Sturm zu werden“, empfahl die Referentin.